Der Begriff von „Bildung“ ist eine Sammlung von Zuständen und Prozessen, einem Baukasten gleich, mithilfe dessen einzelnen Dynamiken einen bestimmten Menschen- und Gesellschaftstyp ermöglichen und erschaffen soll. Die Wurzeln dafür gehen bis tief ins Barock, ab Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff in Deutschland fixiert und auf ein Podest gehoben. Das Denkmodell stellt ein lernendes Subjekt in eine ebenso ethische wie gesellschaftliche Entwicklungsperspektive von bestehenden, wahren und wichtigen Wissensbeständen. Dazu gehört simultan die Beziehung zu sich selbst, zu Institutionen und Demokratie, plus der fruchtbaren Reflexion über diese drei Bezugssysteme im Sinne des Begriffes.
Das ist, wie viele Kritiker zurecht bemerkten, ein deutlich überfrachtetes Konzept. Aber es hat das deutsche Gymnasium und die deutschen Hochschulen geformt, die das Selbstbild der Gesellschaft zeichnen und deswegen die Dirkurshoheit haben. Tatsächlich hat ein Machtvakuum nach Napoleon in Preußen von 1808 bis 1819 den radikalen Umbau des deutschen Schulsystems unter dem Leitstern der „Bildung“ ermöglicht und von dort lebt es via deutschen Geschichtsverlauf und allgemeiner Schulpflicht bis heute in jeder Stadt, Wohnung und Biografie fort.
Das alles hört sich kompliziert an, wohl weil es so ist. Ein nächstes großes Feld ist die der Bildungstheorie gegenüberstehende Praxis von Bedingungen und Möglichkeiten des Wissenserwerb von Erwachsenen in der digitalisierten Wissensgesellschaft von heute. In diesem Globalpanoptikum spielen so viele Größen eine Rolle: personale und familiale Sinn-, Zweck- und Zielekonstruktionen, das Streben nach Zertifikaten, die Verwaltung von Zeit und Ressourcen und ihr Austausch als wichtige Kompetenzen sind für unabkömmlich, wenn komplexe Biografien in immer schneller drehenden Weltverhältnissen gelingen sollen. Immer wenn kompetente Erwachsenen heutzutage etwas in Deutschland bewältigen müssen, ist der Bildungsbegriff schon als Geländer aufgestellt.
Der Bildungsbegriff als deutsche Eigenart
Der Bildungsbegriff ist dazu ein speziell deutsches Phänomen. Denn in ihm schwingt ideengeschichtlich die göttliche Bildung des Menschen zu Gestalt und Lebensfähigkeit mit. Die Angelsachsen und Franzosen, die Italiener und eben die ganze restliche Welt spricht schlcht und übergreifend von „Erziehung“. Aber für die deutschen Gründerväter des Bildungsbegriffes, Humboldt und Schleiermacher etwa, war das Hin-ziehen nicht der eigentlich Antrieb, sondern die Erschaffung eines neuen Menschentypen, auch als Grundmaterial für eine neue Gesellschaft, nämlich der bürgerlichen.
Der qua Bildungsprojekt angestrebte Prozess solle damit durch das Wesen selbst verinnerlicht werden, sodass neben guten Eindrücken und wahren Erkenntnissen auch der Prozess deren Aneignung und Integration das Wsen forme , damit es so geformt später einmal wieder in die Welt hinausformen kann.
Das ist bis heute der Grund, warum man in deutschen Gymnasien Latein lernt. Weil Humboldt wusste, dass Latein die erste, die wahre und die reine Sprache war, neben dem Griechischen, und der Kontakt mit der Sprache das Wesen formen soll.
Hm. Man kann den Bildungsbegriff aber auch dafür schätzen, dass er ein komplexes Feld von Sachverhalten, biografischen Größen und päddagogischen Zielen in nur ein Wort gepackt hat, womit eine sprachliche „Es-werde-ein-besserer-Mensch-Maschine“ installiert wurde, die zu jeder Rede an versammelte Gruppen ohne Murren und Knurren angeworfen werden kann.
Ein sehr gutes bildungsphilosophisches Buch : Kirsten Meyer: Bildung.
(2011) Berlin: DeGruyter
Meyer untersucht die Ansprüche und Begründungen des deutschen Bildungsbegriffes sehr schön und sehr gut lesbar. Neben einer gut recherchierten Begriffsgeschichte findet man auch die erhellende Einsicht, dass sich Bildung phänomenologisch nicht mehr hinter das Erleben von „guten Momenten“ zurückführen lässt. Diese Momente in er Gruppe, gefüllt mit Neugierde, Erkenntnis, Verbindung, Verstehen, Witz , Aktivität und Gruppendynamiken sind die Qualia guter Lernprozesse, aus denen dann Bildung wachsen kann. Erst die verlässliche Produktion solch hilfreicher Momente schafft die Erlaubnis, dass sich Theorien der Bildung und des Lernens erdreisten dürfen, Menschen in Gruppen einzuteilen, sie in Raum, Zeit und Sprache kontrollierend einzuhegen, zusammenzufügen und zu trennen, je nach Wunsch, kurz, Macht über sie auszuüben und sei es auch nur zeitweise.
Bildung bedeutet insofern auch, sich den Antinomien und Spannungen dieses Begriffs bewusst zu sein, kritisch zu bleiben und unbequem. Willkommen in der Erwachsenenbildung, die ich schon deswegen bevorzuge, weil sie viel weniger Zwang als die Elementar- und Aufbauschulen enthält.
Zu Kirsten Meyer noch der zutreffende Kllappentext:
In diesem Buch wird die Frage nach dem Wert von Bildung gestellt. Die Antwort basiert auf einem eigenen werttheoretischen Ansatz. Dieser wird auf den Wert von Autonomie, den Wert des Wissens und weitere relevante Werte angewendet.
Rezension; Wallmann-Helmer, 2012, Dt. Zeitschrift für Philosophie:
„Insbesondere für die Frage, welche Rolle eine Konzeption des guten Lebens beim Nachdenken über Bildung spielen sollte, ist Meyers Untersuchung ein wichtiger und anregender Beitrag für die philosophische und erziehungswissenschaftliche Forschung.“