Wie umgehen mit der Klimakrise, wie auch psychologisch handlungsfähig bleiben, wenn anscheinend wirklich alle bisherigen Verfahren von gesellschaftlich-politischer Aktion – Berichte, Konferenzen, Verträge, Aktivismus – offensichtlich kaum helfen, die Bedrohung abzuwenden?
Der Berliner Klimaaktivist Tadzio Müller empfiehlt erstens die Anerkenntnis der unbewältigten Krise als gesellschaftlich-psychologisches Verdrängungsphänomen, zu dem sich historisch zweitens eine zunehmende ‚Arschlochisierung‘ der Neo-Faschistischen Politikangebote und Bewegungen als rigides Staus-Quo-Regime herausbildet, auf die er drittens und als möglichen Ausweg, die Bildung von nachbarschaftlichen Resilienz-Prepper-Gruppen nach schwedischem Vorbild empfiehlt. Diese lebendigen Nachbarschaftsgruppen können/sollen nun gemeinsam die erwartbar größer werdenden Störungen in den Liefer- und Lebensketten der Welt bewältigen, die ja immer lokal erlebt werden. Der lange Titel des Buches daher: „Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps: wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben“.

The interesting thing about social movements is that they operate at the edge of what is possible. Social movements are the magical realist element of politics. They’re the crazy factor.
Ein klassisches Precis als Kurzrezension
Tadzio Müller möchte in seinem 2024 bei Mandelbaum (Wien) erschienen Buch „Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps: wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben“ erklären, warum die jüngste Klimabewegung – etwa die ‚Letzte Generation‘ oder ‚Ende Gelände‘ in Deutschland – so überaus erfolglos war, wirklich eine gesellschaftliche Neuausrichtung oder zumindest eine Diskussion über die Klimakrise anzustoßen und in welcher Form er Auswege aus dieser Effektlosigkeit sieht.
Müller erklärt den aktuellen gesellschaftlichen Umgang der reichen nördlichen Zivilgesellschaften mit der Klimakrise als zweistufigen Prozess, der zunächst eine psychologisch plausible Verdrängung von unangenehmen Tatsachen darstellt, was danach dann übergeht in das, was Müller eine „Arschlochgesellschaft“ nennt, nämlich das aggressive Beharren auf den Status quo, dem Recht zur Verdrängung und dem Recht auf aggressive Marginalisierung und Abwehr von allem, was diesen Status in Frage stellt – etwa in Form von Flüchtlingen, Klimaaktivisten oder auch libertären Bewegungen, die ein „Umdenken“ fördern.
Müller möchte mit seinem Buch, das weithin auf editorisch verbundenen Blogbeiträgen beruht und deswegen in einem eher informell-ironischen Ton daher kommt, das Versagen des „offiziellen“ Klimaaktivismus erklären, der neben einer aktivistischen Komponente ja auch eine politische und international-diplomatische Komponente hat, um damit den Lesern – und also der Bewegung – wieder eine realistische und tatsächlich wirksame Perspektive gegenüber den Bedrohungen des Klimawandels zu liefern.
Dabei argumentiert er zunächst psychologisch, indem er die Klimakrise als gesellschaftliches Verdrängungsobjekt im Sinne Freuds auffasst, ein Angstkomplex, der erfolgreiche Zukünfte infrage stellt und dem deswegen auch nicht mehr mit „weiteren gute Informationen“ beizukommen ist. Dann argumentiert er politisch, indem er den weltweiten Aufstieg der rechtsradikal-faschistischen Bewegungen als Entlastungsdynamik von moralischen Ansprüchen und Reflexionsaufgaben einer verunsicherten Bürgerschaft deutet, als Etablierung eines unbedingten „Status Quo“ einer weißen, homogenen, gruppenfeindlich-rechenschaftsbefreiten Gesellschaftsidee. Und schließlich empfiehlt er als praktische Handlungs-Perspektive für die Bewegung, denn es ist die Klimabewegung für die er schreibt und es ist der „Sound der Messenger-Apps“ wie er schreibt, das „gemeinsame Preppen“, also eine Vorbereitung in nachbarschaftlichen Zirkeln auf die zu erwartenden weitren Ausfälle der gewohnten Lieferketten und Lebensumstände, wie er sie in der schwedischen Bewegung „Preppa tilsammans“1 verwirklicht sieht. Als Ausgangspunkt des Buches werden dabei auch das Private – Probleme in Beziehungen – und das Politische – Probleme der Bewegung – miteinander verbunden und auf Analogien hin analysiert, um über den Blick auf die globalen Dynamiken schließlich zu Lösungsansätzen auf einem nachbarschaftlichen Level zu kommen und also wieder die Aufgabe von „Lokaler Organisation“ als zentral zu positionieren.
Klappentext: Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps: Wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben
Inmitten von Klimakatastophe, Rechtsruck und Hoffnungslosigkeit erzählt der bekannte Klimaaktivist Tadzio Müller in fünf Kapiteln die Geschichte (s)eines Weges von einer Klimadepression, durch die Akzeptanz der Unausweichlichkeit des Klimakollapses: Zurück zur Bewegung und der dort wiedergefundenen Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft, trotz Kollaps und Faschisierung!
In der Klimakatastrophe, die nicht zu mehr Rationalität führt, sondern zu mehr Verdrängung (I) müssen Klimaschutz und Klimabewegung scheitern, egal, ob großer Klimastreik oder friedliche Sabotage (II), konfrontiert mit ihrem Scheitern verroht die gesellschaftliche Mitte immer mehr, wird zur schamfreien Arschlochgesellschaft (III). In dieser Situation gibt es für die Klimabewegung nur den Weg zur Erneuerung als solidarische Kollapsbewegung (IV). Dafür bedarf es der Trauerarbeit, ohne die wir unbequeme Fakten nicht anerkennen können. Im letzten Kapitel will Tadzio Müller nicht nur intellektuelle Arbeit anstoßen, sondern qua emotionaler Aufladung Resonanzen erzeugen.

Literatur
Müller, Tadzio (2024): Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps: wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben. Wien: Mandelbaum Verlag eG. (= kritik & utopie).
[1] Preppa tilsammans – zusammen preppen: https://www.akweb.de/bewegung/preppa-tillsammans-aus-schweden-die-idee-des-individualistischen-preppens-ist-eine-schimaere/
Portrait Müller 2019: https://www.the-berliner.com/berlin/the-magical-realist-of-climate-politics/