Immer mehr Jugendliche hier in der Stadt hören ihr Handy gerne im „Surround-Sound“. Dabei quäkt das privatmobile Telefon ungebremst im öffentlichen Raum. Man hört als Straßenbahnbenutzer, Haltestellenwarter, Parkspazierer etc. ungefragt und kostenlos die Sounds fremder Leute. Und diese in einer Soundqualität wie einst Urgroßvaters Weltempfänger. Nur ist es diesmal nicht Radio Belgrad, sondern irgendein GirlyTechnoRapOrientalBeat. Unschön und nervig.
Nervig eben ja auch deswegen, weil man diese Surround-Sounds nicht abregeln kann, ohne eine direkte Ansprache an den Sender bzw. Halter zu tätigen. Also erträgt man es und schweigt ( ca. 99,5% der Leute). Oder man tritt in direkten Kontakt mit einem wildfremden Menschen, der dazu a) meist mitten in der Pubertät, b) Teil einer Gruppe, oder c) schlecht gelaunt ist. Vielleicht alles zusammen.
Hier schweigen kluge Leute und ignorieren den Lärm. Aber – und das ist die schlechte Nachricht – der „Surround-Sound „ ist auf dem Vormarsch.
Denn soeben entwickeln die Deutsche Telekom und die TU Berlin /Designforschung das Wunschhandy der nächsten Generation . Von und mit jenen Kids, die schon heute heimische U-Bahn-Hallen in kümmerlicher Handyqualität beschallen.
Und so liest man bei Spiegel Online :
Was sie wollen? „Das Handy der Zukunft entwickeln, zusammen mit Kindern und Jugendlichen“, sagt die Juniorprofessorin. Während andere Schüler in den Ferien Politik spielen oder wie vor hundert Jahren töpfern, basteln die Kiezkinder Handyprototypen. Dafür können sie unter anderem das Fell eines echten Hasen verwenden. „Der ist eines natürlichen Todes gestorben“, versichert Gesche Joost.
Auch Lemmy hat einen Prototyp entworfen, so dick wie ein Knäckebrot, mit großem Bildschirm, „um Videos drauf zu gucken“, erklärt er. Sein Holzhandy zieren vier braune Flecken, das wären Lautsprecher für einen „schönen Surround-Sound“. Wie die Eltern vieler Kinder am Tisch stammen auch seine aus dem Ausland.
Das Ganze ist übrigens ein Ferienangebot für Daheimbleiber in Neukölln und als solches absolut begrüßenswert. Der Schlenker auf das Ausland ist der Beginn des nächsten Absatzes und deckt sich mit der Tatsache, dass es einfach deutlich mehr Einwanderer-Kids mit quäkendem Handy gibt. Damit entsteht hier am häufigsten Geräusch und hier lebt die Haupt-Zielgruppe.
Die Ergebnisse dieses Projekts werden garantiert irgendwo und irgendwie verwertet. Von der Innovations-Abteliung der Telekom. Oder vom nächsten Hersteller. Und dann – das ist sicher – blüht uns eine „neue Ära des Surround-Sounds“.
Für den Haltestellenfrieden wäre es dringend notwendig darüber nachzudenken, wie eine Zivilgesellschaft solchen privaten Frohsinn verhandeln kann. Wichtig ist, dass niemand sein Gesicht verliert, dass alle mitmachen können, und dass die Aktion insgesamt deeskalierend wirkt.
Vielleicht indem ein solidarisches Publikum sich durch gemeinsames öffentliches Geräusch outet? Durch Singen, Klatschen, Trampeln, Pfeifen, Parolen skandieren … ? Wie wird der Einspruch deutlich und solidarisch ohne jemanden zu exponieren?
Es gibt diese Geschichte vom Flughafen in San Francisco, der in den 70ern von den Hare Krishnas geplagt war. Also ständig ein Trupp, der singend, redend, bücher schenkend und frohgemut Leute aufhielt. Die genervten Angestellten des Flughafens verteilten Blechfrösche, diese kleinen KnackKnack-Maschinchen. So konnte jeder, der von den Krishnas genervt war, seinen Blechfrosch sprechen lassen. Eine solidarische, niemanden exponierende und öffentliche Geste. Es bildeten sich Knack-Wolken, die die Hare Krishnas zwar nicht vertrieben, aber merklich zurückregeln konnte.
Die Tibeter sagt man, haben geklatscht, als die Chinesen einmarschierten, weil man so schlecht Geister wieder vertreiben kann. Doch das Klatschen ist hier in Mitteleuropa ja schon „besetzt“.
Bleibt die Frage: Wie regeln wir alle elegant und zivil den öffentlichen Surroundpegel?