yeatsforkrauts _#1
wie wby zu mir kam: „die geheime rose“ (1897) als suhrkamp nr. 433
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Es muss ein Büchertauschregal gewesen sein, aus dem der schmale Suhrkamp-Band von William Butler Yeats „Die geheime Rose“ in meine Denkstube kam.
Zum einen kannte ich natürlich Yeats vom Namen her, Schriftsteller, erster irischer Nobelpreisträger, aber was genau die schreibende Person ausmacht, was so super ist an Yeats – keine Ahnung. Man muss ja nicht alles kennen.
„Bibliophiles Schmeichelstück und das für umsonst – der Schwabe sagt ja“
Bibliophil ist es ein Schmuckstückchen: Klassischer Suhrkamp mit Fleckhaus-Banderole, 12mm breiter Rücken, 18 cm hoch, Kleinoktav. Mit erdig-roter Lieblingsfarbe, Leseband und schön griffigem kartoniertem Umschlag … liegt super in der Hand, Nobelpreis, irisch – na gut. Das lesen wir mal.
Völlig moralbefreite Stories in dicht-romantischem Irland-Saga-Ton
Nach dem Introgedicht (mystisch ausgequastet, nur wenig verständlich, äh?) , finde ich acht Stories, die in den Gewändern von irischen Märchen daherkommen, sagenhaft sprachgewaltig und romantisch sind, die aber keinerlei Moral haben. Das Gute siegt niemals: Weder der Sänger, noch der Alchemist oder die Krieger und auch nicht der lokale Kleinfürst auf Freiersfüßen, niemand von ihnen hat Erfolg, ‚bewegt etwas‘ oder taugt als role-model.
Dazu gehört eine grausame Gleichgültigkeit, die jederzeit und überall aufbrechen kann und die Menschen wie magischen Wesen vereint. Diese Abwesenheit von Ergebnis und Moral, bei gleichzeitig dichtem „Irischen Saga-Sound“, machen die Geschichten sagenhaft offen und produktiv problematisch. Warum geschieht das alles? Was steckt dahinter?
Yeats (1865 bis 1937) zeigt hier seine konzeptionelle Idee irischer Folk – lore. Das Wort ist getrennt und mein damit nicht eine Musikrichtung ab Mitte der 1960er, sondern ‚~lore‘ ist hier in Wortstamm und -geschichte: „Wissen und Geschichten über einen Gegenstand“. Diese Gegenstände mögen nicht immer wahr sein, existieren dazu aber und werden nun erzählt oder vorgesungen (vgl. Cambridge Dic. https://dictionary.cambridge.org/dictionary/english/folklore ,„knowledge and stories about a subject: According to local lore, the water has healing properties.“).
Acht Stories also, erschienen 1897, zeichnen ein leidlich moralfreies, mythologisch-dichtes Irland. Yeats ist 33 Jahre alt, lebt in London und publiziert mit dem band einen weitere Bausteine seiner Karriere als dichterische Größe. Vier Jahre zuvor hat er erfolgreich das Werk von William Blake als bahnbrechend in der angelsächsischen Kulturwelt installiert, wo es bis heute in höchster Achtung steht.
Yeats platziert nun mit 33 Jahren in einer neuen Umdrehung sein Irland, das Irland der Geschichten und der mystischen Tiefe als einen historischen Anker- und Gegenpunkt im viktorianischen England. Die Gesellschaft dort hatte Irland bis dato nur als unterworfenes Hinterland der problematischen Krisen und als billigen Rohstoff-und Dienstpersonal-Lieferanten gesehen, bevölkert von hungerleidenden Querköpfen. Yeats lässt nun das Bild einer kulturellen Kostbarkeit entstehen, die ebenfalls bis heute als eben solche akzeptiert und gepflegt wird.
Das Gaelic Revival als Soundtrack für den Irischen Free State
Yeats war damals nicht alleine, die Literaturwissenschaft kennt ihn und seine kulturellen Mitstreiter als „Gaelic Revival“, aber das ist als Literaturbewegung eine Antwort auf eine Gesellschaft, die moralinsauer am Überhitzen ist, aber die verheiratete Frau nur als sozialen Gegenstand, nicht aber als autarke Rechtsperson kennt. Schlimme Zeiten, die dann auch zielsicher in den ersten Weltkrieg mündeten.
Yeats und das „Gaelic Revival“ geben diesem kulturell reichen Land seine Stimme, indem sie Volksgeschichten und die sozialen Archive Irlands in Theaterstücke, Gedichtbände, Erzählungen und Artikel gießen, die auf Quellen oder Feldexpeditionen beruhen, aber auch einer dezidierten Theorie der Überlieferung (Parallelen und Gegensätze zu den Brüdern Grimm, die 1812 bis 1858 ähnliches wollten, es aber anders realisierten und auch einer anderen gesellschaftlichen Thematik damit begegneten).
Das Erscheinen dieser Stimme, die Aufführungen, Tourneen und Skandale sind der ‚kulturelle Soundtrack‘ des unausrottbaren Freiheitskampfes des irischen Volkes, das 1921 endlich in die Gründung eines Free State mündet, der dann aber – die Tragödie geht weiter – geteilt wird. Insofern ist die poetische Stimme von W.B. Yeats als ähnlich poetisch-politisch, wie die deutsche Bewegung der Romantik oder davor Hölderlin, wo es um eine neue Konstitution für Deutschland gefordert ging, die herbeigedichtet werden sollte.
Im nächsten Kalenderblatt: Yeats haut ab aus dem öden Alltag: „The Lake Isle of Innisfree“
Editionsgeschichte: „The secret Rose“
1897 von Yeats selbst bei Lawrence & Bullen in London als Prachtband mit Prägung herausgebracht.
In einer Überarbeitung – Yeats war ein manischer Überarbeiter – auch später umgestellt, mit anderen Stories versehen bzw. ausgegliedert („Stories of Red Hanrahan“ erschienen 1905 u. 1927). Nach dem Tod kurz vor dem Krieg gibt es eine englische Wiederauflage von 1960, die dann als Vorlage für den Suhrkamp-Text dient, der 1975 durch Susanne Schaupt und Ernst Stein nach dem englischen Original und einer deutschen Vorübersetzung von Herberth H. Herlitschka (o.J.) entsteht.
Verwendete Literatur
- Yeats, W.B. (1975): Die geheime Rose. Ffm: Suhrkamp . Übers. v. Susanne Schaupp und Ernst E. Stein. 95 S. ~ im Antiquariat ab € 5,-
- Yeats, W.B. (1988): Geschichten von Rot-Hanrahan. Leipzig: Insel. Übers. v. Susanne Schaupp und Ernst E. Stein. Nachwort von K. H. Berger. 67 S. ~ im Antiquariat ab € 9,-
Addendum / Quellen
- Liste für alle zu Lebzeiten veröffentlichten Werke : https://en.wikipedia.org/wiki/W._B._Yeats_bibliography