yeatsforkrauts vol.2: William ist reif für die Insel und landet einen Welthit - Lake Isle of Inisfree


yeatsforkrauts _#2
Das Gedicht mit nur 12 Zeilen in 3 Strophen feiert die Flucht aus Stadt und Zivilisation, hinein in die Ruhe und Einsamkeit einer Gartenhütte auf der Insel eines Sees im Norden Irlands. Mehr Einsamkeit geht gar nicht. Die aufgeschriebene Sehnsucht kommt in Großbritannien in den Schulkanon und wird so ein angelsächsischer Welthit.

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the real Isle in the real lake:	Insifree. Courtesy Wikipedia source: wikipedia ~ By Oliver Dixon, CC BY-SA 2.0

Jeder kennt in Deutschland etwas von Goethe und jeder in Großbritannien kennt etwas von Yeats. Mit höchster Wahrscheinlichkeit ist darunter das 1888 geschriebene, 1890 publizierte „The Lake Isle of Inisfree“. Der junge William litt in London und wollte zurück nach Irland. Im Jahr 1932 singt der alternde Poesie-Schamane den Abschied seines jungen Ich vor. Inzwischen Ex-Senator des Freestat Irland und Nobelpreisträger, nimmt die BBC den berühmten Yeats auf. Sieben Jahre später, 1939 und im ersten Jahr des nächsten Weltkrieges, wird er Wärme und Heilung suchend an der Cote d’Azur sterben.

Portrait W. B. Yeats
WB Yeats, ca. 1905 source: poets.org

Das dreistrophige Gedicht, am Anfang seiner Karriere publiziert, ist unzweifelhaft einer von William Butler Yeats „Greatest Hits“, da es zum einen kurz ist, zum zweiten technisch gut aufgebaut und zum dritten voller wunderbarer Bilder des Friedens und der Sehnsucht. Deswegen kam es in Großbritainien schon früh und breit in den Schulkanon. Wer es im Königreich zu höherer Schulbildung gebracht hat, durfte sich damit beschäftigen:

The Lake Isle of Innisfree

I will arise and go now, and go to Innisfree,
And a small cabin build there, of clay and wattles made;
Nine bean-rows will I have there, a hive for the honey-bee,
And live alone in the bee-loud glade.

And I shall have some peace there, for peace comes dropping slow,
Dropping from the veils of the morning to where the cricket sings;
There midnight’s all a glimmer, and noon a purple glow,
And evening full of the linnet’s wings.

I will arise and go now, for always night and day
I hear lake water lapping with low sounds by the shore;
While I stand on the roadway, or on the pavements grey,
I hear it in the deep heart’s core.

Das Gedicht evoziert ein nur allzubekanntes „Ich schmeiss jetzt alles hin und verlasse die graue Zvilisation“-Gefühl, das allerdings nur in der ersten und in den letzten zwei Zeilen wirklich deutlich ausgetuscht wird. Dazwischen, und dafür bleiben jetzt nur noch neun Zeilen übrig, wird eine solitär-ländliche Idylle geschildert, die Friedlichkeit und mystische Natur in sehr schönen Bildern evoziert.

Ich fand das Gedicht relativ schnell auf der Suche nach ‚mehr Yeats‘ im Internet und eine Google Suche nach „Yeats Lake Isle of Inisfree“ brignt eine erstaunliche Anzahl von Funden, darunter auch einen NY Times-Roadmovie-Bericht.

NYTimes-Reportage - mit dem Auto aus Dublin nach Lake of Insfree_ Russell-Shorto_2015_
Russell Shorto ist dem Mythos 2015 hinterhergefahren; Reportage in der NewYork Times.

Ich bin dem Charme des Gedichts auch erlegen, denn – Abhauen, Mystik, Natur, Irland? JA!!! Ich habe es sogar, in a romatical outburst, abgeschrieben und aufgehängt. Very nice poetry that for mystical travellers.

BBC-Soundfile, der Chef singt selbst

Was aber das Gedicht aus heutiger Sicht zusätzlich interessant macht ist, dass es davon eine BBC-Aufnahme aus dem Jahr 1932, sieben Jahre vor seinem Tod 1939 und in diesen Jahren bei schwacher Gesundheit gibt, auf dem der Dichter das Gedicht vorsingt, oder wie er selbst das nannte: vor-chantet.
Klick to play:

Screenshot des BBC-Archivs, Online

Yeats nannte dies „chanten“ und man kann diese Technik auch heute noch bei jenen Erzählerinnen und Erzählern erleben, die als „Barden“ im aktuellen Irland Menschen unterhalten oder unterhalten haben (‚The Druid’s Apprentice‘- Eddie Lenihan, 1986).

Denn Yeats entwickelte seine Lyrik (unter anderem) in einer selbstgewählten Nachfolgeschaft der mittelalterlichen fahrenden Sänger, insofern er beim Dichten auf- und abschritt und dabei seine Entwürfe vor sich hin sang. Das darf man sich – die Aufnahme zeigt es auch – nicht als auskomponiertes Kunstlied mit klarer Tonhöhe vorstellen. Vielmehr entwickelt der Poet eine auf Singbarkeit hin orientierte Schreib- und Vortragsweise, die man heute so nur noch aus der Kirche kennt, wo ebenfalls wichtige Formeln als Sprechgesang verwendet und aufbewahrt werden.

Die lebendige Stimme macht den Unterschied

Yeats hatte eine elaborierte Theorie zu diesem vorsingenden Entwickeln von Poesie und später vor Publikum der Rolle, die die lebendige Sprechstimme und ihre Fähigkeit durch Intonation den Abstand zwischen nüchtern gesprochenem Vortrag und tatsächlichem Gesang aufzuheben. Was etwa die Anthroposophen „Sprechgestaltung“ nennen, geht in exakt die gleiche Richtung (Die Michael-Imagination). Das hat natürlich auch eine historische Parallele, insofern dass sowohl W.B. Yeats wie Rudolf Steiner in fruchtbarem Austausch mit der Theosophie von Helena Blavatsky standen, sich davon – jeder auf seine Weise – emanzipierte, aber damit beide vertraut waren mit dem Konzept der „Anrufung“, die meist gewählt wird, wenn der Mensch sich qua Stimme an übernatürliche Mächte wendet .

W.B. Yeats zeigt sich in der Aufnahme der BBC als ein „Poesie-Schamane“, der mit seiner singenden Anrufung einen tieferen Eindruck erwecken möchte, als es das gewöhnlich-nüchtern niedergeschriebene und dann personal auf-gelesene Gedicht kann.
Und, was soll man sagen? Bei mir hat es funktioniert. Ich kann nicht mehr an das Gedicht denken, es lesen, ohne dabei an die heiser-ätherische Chantversion der BBC-Aufnahme zu denken.

A palpable shifting through a living voice somehow. Vielleicht ist dieses Phänomen auch ein Grund dafür, dass das Medium „Podcast“ in den letzten Jahren einen solchen Aufschwung genommen hat?

Material, Links, Seitenblicke

  • Arrington und Campbell (Hgg.)(2023): The Oxford Handbook of W.B. Yeats. Oxford University Press; ISBN: 978-0198834670
  • Armstrong, Charles I. (2013): Reframing Yeats: Genre, Allusion and History. London/ New York: Bloomsbury.
  • Larrissy, Edward (Hrg.) (2010): W.B. Yeats. Dublin/Portland: Irish Academic Press. (= Visions and revisions : Irish writers in their time).
  • Maletzke, Elsemarie (2016): Maud Gonne: ein Leben für Irland. Berlin: Insel Verlag.
  • ‚The Druid’s Apprentice‘ Irish Story – Eddie Lenihan, 1986 Eddie Lenihan, 1986:https://www.youtube.com/watch?v=ZuhsQLgyJbc)
  • Wikipedia, engl.: https://en.wikipedia.org/wiki/W._B._Yeats („Yeats is considered one of the key 20th-century English-language poets.“)